Podcast            Nudging

 

Intro: freie Musik

 

Titel (Sprecher)

„Das ist ein Podcast der Initiative Gesundheit und Arbeit – kurz iga. iga beschäftigt sich mit wissenschaftlichen Erkenntnissen aus der Welt der betrieblichen Gesundheitsförderung und Prävention und bereitet diese zur Nutzung für Praktikerinnen und Praktiker in den Betrieben auf.“

 

Start

Lindl:

Dieser Podcast widmet sich dem Phänomen der menschlichen Entscheidung und seiner sinnvollen Beeinflussung.

Menschen entscheiden oftmals wider besseres Wissen und verhalten sich dabei sogar gegen ureigene Interessen wie zum Beispiel ihre Gesundheit. Sie denken jetzt vielleicht, das passiert mir nicht. Ich sage da nur: Der innere Schweinehund! Jeder kennt die Situation, wenn man wieder lieber den Fahrstuhl statt die Treppe genommen hat oder der routinemäßige Zahnarzttermin schon wieder vergessen wurde zu terminieren. Und schon sind wir mitten im Thema drin… warum wählen wir häufig eine für uns langfristig schlechtere Alternative und wie kann der Weg für gesunde Entscheidungen bereitet werden?

 

Sprecher: Wir führen Sie heute durch das Thema Nudging im Kontext der Organisation von Gesundheit und Sicherheit in der Arbeitswelt. Nudging ist dabei eine gezielte Einwirkung auf die menschliche Entscheidung. Wie das nun genau funktioniert, darüber sprechen wir mit Titus Lindl. Er berät Unternehmen zu Führungsthemen, Motivation und Unternehmenskultur. Und wir haben uns zwei Expertinnen zur Unterstützung geholt. Frau Prof. Pfannes und Frau Prof. Adam von der Hochschule für angewandte Wissenschaften Hamburg. Sie lehren und forschen da an der Fakultät Life Sciences am Department Ökotrophologie.

 

Herr Lindl, Sie erleben in Ihrem Beratungsalltag oftmals die Herausforderung, in Veränderungsprozessen von Unternehmen auch das Verhalten der Mitarbeitenden entsprechend dem neuen Ziel zu verändern. Was ist daran so schwierig?

 

Lindl: Weil Menschen nun mal gern ihren Gewohnheiten folgen, ist es bei Veränderungsprozessen besonders wichtig, die Mitarbeitenden auf neue Ziele, andere Routinen und – wo benötigt – ein verändertes Verhalten einzustellen. Im Geschäftsprozess, aber auch in der täglichen Zusammenarbeit. Gelingt das nicht, ziehen die Menschen das Unternehmen statt zum Change zurück zum Status Quo und alles bleibt beim Alten.

 

Sprecher: Warum ist es für Unternehmen überhaupt wichtig, die Entscheidungen der Mitarbeitenden und ihr Verhalten im Kontext der Organisation von Gesundheit und Sicherheit zu verstehen? Man könnte sie doch ebenso gut anweisen.

 

Lindl: Nun, weil es zu den Pflichten des Unternehmens gehört, Arbeitsbedingungen zu schaffen, die der Gesundheit und dem Wohlbefinden der Mitarbeitenden zuträglich sind. Und mal ganz abgesehen vom Einfluss auf den Krankenstand – es fördert auch die Motivation und besonders das Miteinander im Team und zahlt somit auf die Kultur des Unternehmens mit ein. Daher lohnt es, sich um die besseren Entscheidungen des Einzelnen oder auch der Gruppe bei Gesundheitsfragen zu kümmern. Beim Thema Sicherheit gibt es ganz klare Anweisungen und zu befolgende Regeln, keine Frage. Aber Gesundheitsthemen können nicht qua Anordnung vorgegeben werden –  und da kommt Nudging ins Spiel.

 

Sprecher: Also sprechen wir darüber, bessere Entscheidungen von Mitarbeitenden zu stimulieren statt anzuordnen. Was muss man dazu seitens der Theorie wissen?

 

Lindl: Für die wissenschaftliche Aufarbeitung der menschlichen Entscheidungsarchitektur und wie man diese mit Nudging zum Besseren lenken kann, gab es 2017 den Nobelpreis für den amerikanischen Verhaltensökonom Richard Thaler, der mit seinem Kollegen, dem Juristen Cass Sunstein, 2008 die Wirkweisen von Nudging veröffentlicht hat. Dabei greifen die beiden das Konzept des libertären Paternalismus auf. Dahinter steht auf der einen Seite die Legitimation zum Eingreifen in das Verhalten von Menschen beispielsweise von Institutionen, aber auf der anderen Seite das hohe Gut der individuellen Handlungsfreiheit.

Gutes Nudging macht die Dinge erst dann richtig, wenn es ein erkennbares Angebot zum Wohl des Entscheidenden gibt und dabei auf Freiwilligkeit in der Entscheidung setzt.

 

Sprecher: Betrachten wir mal das Phänomen der Entscheidungsanomalie näher, Frau Adam.

 

Frau Adam: Die Annahme, dass Menschen ihre Entscheidung mehrheitlich bewusst auf Basis von vollständigen Informationen und zu ihrem Vorteil treffen, ist seit über 20 Jahren aus der Verhaltensökonomie widerlegt. Das menschliche Verhalten wird viel häufiger durch Gewohnheiten, Intuition und Umweltfaktoren gesteuert. Das sorgt dafür, dass wir des Öfteren nicht die eigentlich bessere Entscheidung wählen – und darin besteht der Gegensatz – sondern die ungünstigere Entscheidung zum Beispiel aus Gewohnheit treffen. Weil die Gewohnheit eine erneute Prüfung der Vor- und Nachteile einfach übergeht und dabei zur Belohnung eine Menge kognitiver Energie spart. Diese Einsparung setzt einen starken unbewussten Anreiz, dem wir gern nachgeben.

 

Dem Phänomen liegt wissenschaftlich zugrunde, dass wir Menschen in zwei mentalen Systemen denken und entscheiden: dem automatischen, dem intuitiven System und dem bewussten, dem reflektierten System. Die meisten, oft alltäglichen Entscheidungen, die unser Verhalten prägen, treffen wir aus dem intuitiven System, besagter Gewohnheit oder einem Impuls folgend. Oft sind es die alltäglichen Dinge, welche wir so entscheiden. Aber auch weitreichende Entscheidungen treffen wir gern mal aus Gewohnheit, eingebettet in rationale Erwägungen. Immerhin treffen wir im Alltag circa 80% unserer Entscheidungen auf diese Weise und nur 20% rein rational.

 

Lindl: Wir werden also gesteuert durch den Höhlenmenschen in uns, wer hätte das gedacht.

Aber es ist auch irgendwie logisch, denn wir rechnen neben den monetären Kosten oder Nutzen für unsere Entscheidung auch in der Währung Energie - welchen körperlichen oder kognitiven Aufwand uns eine Entscheidung bereitet. Und wir sind schnell bereit, energetisch aufwändigere Entscheidungen zugunsten einer einfachen Lösung zu verwerfen.

 

Sprecher: Wie lassen sich nun Nudges nutzen, Beschäftigte zum besseren individuellen Verhalten zu stimulieren, Frau Pfannes?

 

Frau Pfannes: Angestellte treffen tägliche intuitive Entscheidungen für oder gegen ihre Sicherheit und Gesundheit. Nudges können die gesündere oder sicherere Entscheidung zur einfacheren Entscheidung machen und wollen damit die Wahrscheinlichkeit zum entsprechenden Verhalten erhöhen.

 

 

Sprecher: Was bedeutet das für die betriebliche Gesundheitsförderung und Prävention?

 

Frau Pfannes: Betriebliche Gesundheitsförderung hat das Anliegen, den Beschäftigten strukturelle Rahmenbedingungen für ein gesundes Arbeiten zu ermöglichen. Gesundheitsförderliche Strukturen betreffen zum Beispiel die Führungs- und Kommunikationskultur, eine bewegungsfreundliche Arbeitsumgebung, gesundheitsgerechte Verpflegungsangebote und die verhältnisbezogene Suchtprävention. Dabei geht die Verhältnisprävention mit der Verhaltensprävention Hand in Hand. Die Verhältnisprävention setzt mit dem Nudging bei betrieblichen, organisatorischen und sozialen Bedingungen an, sie verändert das Umfeld zugunsten einer besseren Entscheidung. Gleichzeitig wirkt Nudging als Verhaltensprävention auf den Einzelnen bzw. die Gruppe. Dies kann im privaten wie im betrieblichen Umfeld sein.

 

Lindl: Und so kümmern sich verantwortungsvolle Unternehmen nicht nur um optimale strukturelle Arbeitsbedingungen, sondern können auch besseren Entscheidungen ihrer Beschäftigten unterstützen. Und genau da kommt nun Nudging ins Spiel: weil es am physischen, sozialen und psychologischen Kontext der individuellen Entscheidungen ansetzt, um sie zu verbessern. Die gesunde Entscheidung wird zur einfacheren Entscheidung gemacht.

 

Sprecher: Wie gehe ich am besten vor, wenn ich einen Nudge einsetzen möchte?

 

Lindl: Es ist sinnvoll nicht nur einen einzelnen Nudge aus dem Bauch heraus zu kreieren, sondern ganzheitlich vorzugehen. Zur Hilfestellung dienen folgende vier Schritte: Als erstes eine Zielbestimmung – WAS soll sich ändern und warum?

Zweitens die Analyse des Entscheidungsprozesses – WIE werden Entscheidungen getroffen? Und wer trifft sie?

Und drittens Analyse der Handlungsoptionen und Eigenschaften der zu bessernden Entscheidung.

Viertens werden dann die Nudges entwickelt, implementiert, beobachtet und auf Zielerreichung optimiert.

 

Sprecher: Worauf sollte man noch achten für die Gestaltung guter Nudges?

 

Frau Pfannes: Für die Umsetzung von Nudging-Maßnahmen ist es wichtig die Grundsätze nach Sunstein & Thaler zu beachten.

1.    Die freie Wahl muss erhalten bleiben.

2.    Der Nudge muss leicht zu umgehen sein.

3.    Die Gestaltung der Umgebung und der daraus resultierende Nudge muss ethisch vertretbar sein.

Das ist wichtig, um es von Marketing-Maßnahmen abzugrenzen.

 

Es ist zudem wichtig für die betrieblichen Akteure, sich klar zu machen, dass Entscheidungsarchitektur immer gestaltet wird – auch ohne Nudging. Die Idee des Nudging ist es, die günstigere Entscheidung zur einfacheren und bequemen Entscheidung zu machen.

 

Es lässt sich festhalten, dass der Ansatz des Nudgings auf den Erkenntnissen der Verhaltensökonomie, der Verhaltenspsychologie aber auch der Soziologie beruht, die empirisch erforscht und dargelegt haben, wie menschliche Entscheidungen getroffen werden.

 

Frau Adam: Auf Grundlage empirischer Erkenntnisse ist so eine Checkliste mit 9 Einflüssen auf das Verhalten entwickelt worden, die bei der Gestaltung von Maßnahmen für Verhaltensänderungen im Allgemeinen – unabhängig von Nudging - für die Verantwortlichen als Unterstützung dienen können. Diese Checkliste nennt sich MINDSPACE. Dieser Begriff ist ein Akronym – lassen Sie uns die einzelnen Buchstaben durchgehen und die Bedeutung am Beispiel einer betrieblichen Gesundheitsaktion verdeutlichen:

-          M für Messenger: Dies ist der Absender, der einen Einfluss nimmt

o   Personen die Im Kollegium geschätzt werden, stehen als „Role model“ für Themen z.B. für das richtige Heben und Tragen.

-          I für Incentive: der Anreiz, der unsere Reaktion motiviert

o   Die Gesundheitsangebote beispielsweise besser während der Arbeitszeit bereitstellen

-          N für Norm: Wir werden stark davon beeinflusst, was andere tun

o   Das kann die Information sein, wie viel Prozent des Kollegiums sich ein gesundheitsförderliches Essen wählen

-          D für Default: sozusagen „mit dem Strom schwimmen“, dies sind Standards oder auch voreingestellte Optionen

o   Alle Beschäftigten erhalten Termine für die Teilnahme an einem Präventionskurs. Wer nicht gehen will, muss diesen aktiv abwählen

-          S für Salience: demnach, die Aufmerksamkeit auf Neues zu lenken

o   Poster, Ampeln und Smileys werden zur Aktion aufmerksamkeitsstark an Orten platziert, an denen Entscheidungen zu gesundem Verhalten zu fällen sind, zum Bespiel in der Kantine

-          P für Priming: Unsere Handlungen werden oft von unbewussten Hinweisen beeinflusst

o   Den Snackautomaten abseits der üblichen Laufwege platzieren

-          A für Affect: durch emotionale Assoziationen kann unser Handeln kraftvoll geprägt werden

o   Einsatz von Bildern, die Hygiene-Emotionen zum Händewaschen triggern

-          C für Commitment: das bedeutet, sich quasi öffentlich selbst zu verpflichten

o   Durch Teilnahme im Team an Schrittzählwettbewerb und der öffentlichen Angabe täglich 10.000 Schritte zu machen, binden wir uns selbst

-          E für Ego: Wir handeln auf eine Weise, die uns ein besseres Selbstwertgefühl gibt

 

Je nach Art der Umsetzung vereinen sich dann verschiedene Wirkmechanismen der Einflussnahme auf die Verhaltensweisen der Beteiligten.

 

Sprecher: Was lässt sich aus dem Thema Nudging nun für die praktische Arbeit in Betrieben lernen und mitnehmen?

 

Frau Pfannes: Wir können im Arbeitsalltag bessere Entscheidungen für ein gesünderes oder sicheres Verhalten anstupsen.

Wenn wir es schaffen, die Umgebung so zu gestalten, dass die gesündere bzw. sicherere Entscheidung die bequemere Entscheidung ist, dann wurden die Nudging-Maßnahmen erfolgreich umgesetzt. Dadurch, dass das intuitive System für die Entscheidungsfindung angesprochen wird, ist keine Anstrengung für den Entscheidungsprozess notwendig.

 

Lindl: Ja, dann nehmen wir doch diese Gedanken mit in den persönlichen Alltag wie auch in den Arbeitsalltag und prüfen, wie wir die „guten“ Optionen einfacher und attraktiver gestalten können und damit den Weg für gesunde Entscheidungen bereiten.

 

Sprecher: Wir vertiefen die Betrachtung zum Thema Nudging in der Langversion dieses Podcasts mit mehr praxisnahen Beispielen. Diesen finden Sie unter ihrem Podcast-Portal oder unter www.iga-info.de. Hören Sie gern rein und lernen Sie da auch konkrete Cases zur Inspiration kennen. Falls Sie bereits jetzt jemanden oder etwas „Anstupsen“ möchten haben wir Ihnen da auch entsprechende Checklisten und Leitfaden inklusive Praxistipps zusammengestellt. Geben Sie dort einfach den Suchgriff Podcast oder Nudging ein.

 

Outro Musik